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Einigkeit und Recht und Freiheit: Braun AG (I) / Sein Leben (II) / Todestag (III)

Profil

Autoren Hans Günter Michelsen (1920-1994)
Damen 5/6/4
Herren 5/6/6
Besetzungshinweis Statisten
Bereich Sprechtheater
Genre Schauspiel

 

 

Geschichten aus der Produktion (West)
Wer wie Adi in den 50er Jahren Arbeiter in einer Fabrik ist und der KPD nahesteht, ist in den 60er Jahren zu alt und universitätsfern, um Teil der Studentenrevolte zu sein. Die KPD wird 1956 verboten, der Kommunistische Bund entfaltet erst ab den 70er Jahren eine begrenzte Wirkung und spätestens mit dem „Radikalenerlass“ von 1972 verschärft sich der Anpassungsdruck für Menschen „links“ von der so genannten „Mitte“. „1968“ hinterlässt die eine oder andere Spur im Vokabular der Menschen, Perspektiven jenseits eines Strebens nach Aufstieg und sozialer Sicherheit bietet es den Menschen in der Produktion nicht.

Adi freut sich Mitte der 1950er, als der Sohn Walter eines Tages ausbüxt, um zur See zu fahren: Das Meer und sein Horizont scheinen Adi die einzig erträgliche Landschaft, in der „(Zum Warten) Verdammte dieser Erde“ ausharren könnten.  Für einen Urlaub an der See langt das Geld nicht, mit seinem „Klassenbewusstsein“ steht er zunehmend allein in der wachstumsorientierten BRD. Walter fährt zwar schlussendlich zur See – erwägt dann jedoch eine Mitgliedschaft in der SPD, um irgendwann eine Stelle im Schifffahrtsamt zu bekommen. Und in den 70er Jahren hat der Sohn Jörg wohl eine „höhere Schulbildung“ und eine Frau, Beate, aus vermögendem Haus an der Seite – trotz aller Anklänge an eine „richtige“ RAF-Biographie bricht das Paar schließlich waffenlos und recht unspektakulär im Kugelhagel zusammen. Prominenz und Proletariat vertragen sich nicht. Die Großfahndung hat sich in diesem Fall – mutmaßlich – nicht gegen einen Terroristen unter Mordverdacht gerichtet. Vielmehr wird mit Hubschrauberlärm und Glockengeläut noch einmal das Terrain markiert, in dem Herr Meyer (Werkschutz/Braun AG) und die Polizei ihr „Deutschland“ fabrizieren und im Zuge der Expansion die Arbeiterkneipe, einen Hauptschauplatz, abreißen werden. Als weiterer Standort der Braun AG ist zu diesem Zeitpunkt längst Brasilien im Gespräch. [2020 schloss die Volkswagen AG einen Vergleich, um die Opfer der Zusammenarbeit von Geheimpolizei und VW-Werkschutz zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) in Brasilien zu „entschädigen“].  
 Diese Eskalation geschieht erst im letzten Teil der „Trilogie“. Sie ist mit „Todestag“ überschrieben und markiert keinen besonderen Feiertag in der Geschichte der BRD – es ist der Todestag von Adi, der Tag, an dem er sich erhängt hat: Mag er auch von Leuten des 1951 neu gegründeten „Stahlhelm“ zusammengeschlagen werden, in der Fabrik eine Blutvergiftung erleiden: Sein „Todestag“ ist kein „2. Juni 1967“. Und zu welcher Musik wäre Adi in der Produktion gestorben? Freddy Breck mit „Rote Rosen sind die ewigen Boten der Liebe“ (1973) tönt aus den Lautsprechern der Braun AG.  Wenn jemand es wagt, wenigstens auf der Personaltoilette den Lautsprecher abzuschalten, bekommt er es mit dem neuen Star des Werkschutzes zu tun: Herrn Meyer. „Rote Rosen“ rahmen die Verkündigung immer neuer Betriebsvereinbarungen zwischen Gewerkschaft/Betriebsrat und Braun AG.

Die Menschen sprechen eine äußerst verknappte Sprache, die an den einen oder anderen Soziolekt erinnert. Immer wieder fällt ein potentielles Schlüsselwort der Zeit, das Sprechen überstürzt sich und nimmt sich zugleich desillusioniert zurück. Die Pausen sind scharf konturiert, kein Füllwort dämpft die Stille. Ohnmächtige Wut formuliert kein Parteiprogramm, wenn sie allein bleibt, Überstürzung und Zurücknahme kulminieren allenfalls im nonverbalen Konsens: Gelächter. „Leben und sterben lassen“ – diese Parole von Adi, an einer Hauswand überliefert, übertüncht und immer noch sichtbar, wird am Ende des „Todestages“ als Algorithmus einer scheinbar „entpolitisierten“ Gesellschaft lesbar.