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Alltag

Profil

Autoren Hans Günter Michelsen (1920-1994)
Damen 6
Herren 8
Bereich Sprechtheater
Genre Schauspiel

Synopse

1978 im Verlag der Autoren erschienen verhält sich das Stück analytisch zu „seiner“ Zeit: Seit 1973 hatte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert, „Rezession“ war ein Angst-Wort. Die Suizidrate in der BRD war zwischen 1977 und 1981 am höchsten. Während das Jugendstück „Auftritt von rechts“ (Gerhard Eikenbusch, 1981) die äußerst prekäre Situation von Schüler*innen porträtiert, die schon auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind, setzt Hans Günter Michelsen die Schnittstelle „Arbeitsamt“ in Szene.  

 

Müller, in leitender Funktion Sachbearbeiter beim „Arbeitsamt“, hat Chancen auf ein bisschen Karriere und „Luftveränderung“, also einen Ortswechsel. Er bezeichnet sich selbst als konservativ – aber nicht „deutschnational“ – und ist stolz darauf. In seiner Rolle als „Arbeitsamt“ legt er besonders viel Wert auf die „Mitwirkungspflicht“ (SGBI/§66) und „Eigenverantwortung“ der Arbeitsuchenden. Dass „Gabi“, „seine“ Frau, einen Ausweg aus der fadenscheinigen „Sicherheit“ eines bürgerlichen Haushalts gesucht hat und nun, auf dem Weg in den Suizid, verstummt, übersieht er. Wohl in seiner Haut ist ihm nicht, aber ein Arbeitstag will bewältigt sein. Und was dem Staate „immanent“ sei, so Müller“, müsse unabhängig von der jeweiligen Bundespolitik durchgesetzt werden.  Lothar Klein, arbeitsloser Schauspieler, möchte sich an einem Theaterstück namens „Alltag“ versuchen. Herrn Müller hinterlässt er als Arbeitsprobe ein Gedicht („Verlustanzeige“), das zwar in einer Teamsitzung zur Sprache kommt, aber seine*n Adressat*in nicht erreicht:

gestern / verlor ich den Mut / als ich an heute dachte // morgen / verliere ich das Leben /
wenn ich den Mut nicht / wiederfinde // denk ich und denke / an einen ehrlichen Finder.

Mit Lisa ist eine Psychologin ins Team gekommen. Sie spricht über die gestiegene Suizidrate – in der Geschichte der Bundesrepublik am höchsten zwischen 1977 und 1981 – und deren politischen, sozialen Zusammenhang. Lisa bemerkt durchaus, dass mit Müller kein „Konservativer“ spricht, der gerne ein bisschen zuspitzt, sondern ein Denken zum Ausdruck bringt, dem die Zukunft gehört. Auch die Psychologin übersieht allerdings, dass dieses Gedicht ein Suizid-Ultimatum sein könnte und fühlt sich nicht direkt angesprochen. Wenn Müller dem arbeitslosen Schauspieler nur unverbindlich eine Art „Gnadenfrist“ für den Bezug von Arbeitslosenhilfe einräumt, setzt er auch das Leben seiner Frau implizit einer „Gnadenfrist“ aus. Diese Gnadenfrist ist er selbst, der doch, nach eigenem Ermessen, „den Staat“ anno 1949 unabhängig von (Koalitions-) Regierungen verkörpert. Die „staatstragende“ Dramaturgie jenes angeblich ausstehenden Stückes „Der Alltag“ gefährdet Menschenleben. In Müller-Manier zugespitzt: Müller kommt seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, sofern mit ihr die Rettung von Menschenleben intendiert sein sollte.
Müller jedenfalls hatte Gedicht und Stück seiner Frau zugedacht. Diese Frau allerdings ist am Ende des Tages nicht mehr ansprechbar.