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Menschenlandschaften

Profil

Autoren Nâzım Hikmet
Bearbeiter Vasıf Öngören
Damen 1
Herren 2
Besetzungshinweis Statisten
Übersetzer Güney Ümit 
Bereich Sprechtheater
Genre Schauspiel

 

1941: Wir sehen Menschen vor uns, die im Warteraum eines großen Bahnhofs in Istanbul ausharren. Mit wenigen Worten legt Hikmet ihre Geschichten frei. Wodurch sind sie gezeichnet? Sie haben Kriege erlebt und wissen um den 2. Weltkrieg, den Deutschland begonnen hat: Der Zeitungsfetzen neben einer Aprikosenblute zeigt einen Soldaten mit verbundenem Kopf, „Stuka-Angriff“ ist undeutlich zu lesen. Die Menschen im Wartesaal sind Strafgefangene und harren ihres Abtransports in ein weit entlegenes Gefängnis. Sie sind politische Gefangene: Wer des „Kommunismus“ bezichtigt wird, muss mit Verhaftung rechnen. Die Industrialisierung hat ihre Biographien entwertet: In den Fabriken wird man nicht heimisch mit ihrem oder seinem Handwerk. Hatte Mustafa Kemal („Atatürk“) in den 20er Jahren mit der Gründung einer „Kommunistischen Partei“ noch versucht, ökonomische  Revolutions-/Reformgedanken unter Kontrolle zu bringen: Die Frontlinien waren längst klar. Das Potemkinsche Dorf der „TKP“ war abgeschafft worden, der Link zwischen „Anti-Imperialismus“ und „Befreiungskrieg“ gekappt – Revolutionäre“ waren, wie Nâzım Hikmet selbst, einem aufreibenden „Katz-und-Maus-Spiel“ mit den Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt. Aber ebenso wie Adolf Hitler bereits in den 20er Jahren ein Fan von Mustafa Kemal („Atatürk“) gewesen war: Auch unter den „Kemalisten“ gab es Fans, die fest damit rechneten, dass Nazi-Deutschland siegen würde. Das geben sie auch am Bahnhof preis. Die Türkei selbst bemüht sich zu diesem Zeitpunkt um eine „Neutralität“: Nazi-Deutschland ist und bleibt ein wichtiger Handelspartner, obwohl England und die USA darum kämpfen, insbesondere die Ausfuhr rüstungsrelevanter Güter (Chrom) nach Deutschland zu verringern. Insbesondere landwirtschaftliche Erzeugnisse exportierte die Türkei aber nach Deutschland. 
Modernes, vielfach gebrochenes Epos,  kubistisches Panorama, Enzyklopädie, Comédie Humaine oder, frei nach Sergej Eisenstein, „Montage der Attraktionen“? Das Werk von Nâzım Hikmet ist nicht zu fassen. Hikmet hat das Werk ab 1938 in diversen Gefängnissen der jungen Türkischen Republik verfasst. Zunächst („Enzyklopädie“) legte er ein alphabetisches Verzeichnis von Figuren an: Was hier an charakteristischen Keywords aufblitzte, bleibt in der Kürze und Sachlichkeit der Beschreibung auch in den überlieferten „Menschenlandschaften“ erhalten. Gleichzeitig sind die „Menschenlandschaften“ auch ein Register der Gefühle: Der Autor lässt eine der Figuren Briefe wie eine Art „Karten-Orakel“ legen – und diese Briefe sind reale Briefe, die Hikmet im Gefängnis und aus dem Gefängnis heruas in diese (semi-) fiktionale Einsamkeit seines Epos rettet.
MENSCHENLANDSCHAFTEN – einerseits allseits respektierter „Klassiker“ moderner Weltliteratur*en und andererseits frappierend unterrepräsentiert in der Bundesrepublik, die lange (ge-)braucht (hat), um sich als Schnittstelle von Migration („Einwanderungsland“) zu begreifen. Mit dem „Anwerbeabkommen“ zwischen Türkei und BRD 1961 beispielsweise kamen Menschen , die sich nicht auf die ihnen zugedachte Funktion im Prozess industrieller Fertigung („Gastarbeiter“) reduzieren ließen:
Nâzım Hikmets Leben und Werk legt Zeugnis ab von den permanenten „Grenzverschiebungen“ und fragilen Staatsgebilden des 20. und, natürlich, auch 21. Jahrhunderts. Mit Nâzım Hikmet  (1902-1963) lässt sich ein anderes, viel geräumigeres Europa imaginieren – das Gegenteil einer „Festung“. Hikmet und seine Dichtung waren weder in der Sowjetunion noch in der jungen Republik „Türkei“ oder der jungen BRD beheimatet. Im Gefängnis verbrachte er einen großen Teil seiner Lebenszeit. Und als der „Westen“ sich in Frontstellung zum „Ostblock“ begriff, fiel die Rezeption Hikmets in diesem so genannten „Westen“ dem „Kalten Krieg“ zum Opfer. Es blieb aber der dezidiert linken Literatur- und Gesellschaftsauffassung eines Peter-Paul Zahl überlassen, sich mit Nazim Hikmet zu identifizieren und ihn als Vorreiter einer „Weltliteratur von unten“ zu feiern. Peter-Paul Zahl, brillianter Autor, spiegelte seine eigenen Hafterfahrungen in der Bundesrepublik in denen von Nazim Hikmet. Solche Überidentifikation kann heute zu Recht „übergriffig“ erscheinen – und gleichzeitig eine neue, ganz andere Perspektive auf die Werke von Peter-Paul Zahl eröffnen, der für heutige Kritik an Monumenten für Krieg und Kolonialismus unverzichtbare Arbeit als Theaterautor geleistet hat: „Johann Georg Elser – Ein deutsches Drama“ (1981/82). 
Mit „Die Küche der Reichen“ von Vasif Öngören ist ein Werk zu entdecken, das 1980 den Versuch unternahm, einem Publikum näherzubringen, was 1971 beim Militärputsch in der Türkei geschah. Auch Öngören war ein Grenzgänger: Mit dem Militärputsch 1971 war das Ende für Öngörens Birlik Tiyatrosu (Kollektiv-Theater) in Ankara gekommen. Er selbst wurde aus politischen Gründen zu Haft und Verbannung nach Ost-Anatolien verurteilt und kam durch eine General-Amnestie 1974 frei. In West-Berlin führte Öngören, der in Ost-Berlin studiert hatte und dem Epischen Theater Bertolt Brechts verbunden war, das Kollektiv-Theater (Birlik Tiyatrosu) bis 1982 fort. „Die Küche der Reichen“ wurde abwechselnd von einem Ensemble in türkischer Sprache und einem anderen Ensemble in deutscher Sprache aufgeführt und ist ein Meilenstein in der Geschichte migrantischen, bilingualen und vieldimensionalen Theaters in der Bundesrepublik.